Am stärksten merkt man den Einfluss von Geschlechtsstereotypen auf dem Level des Individuums. Sie beeinflussen das Selbst-Konzept sowie die psychische und physische Gesundheit.
Selbst-Konzept
Das Selbstbild setzt sich aus mehreren Aspekten zusammen (Basow 1992, S. 172ff.):
- Selbstwertgefühl: Darunter versteht man, wie man über sich selbst denkt, einschließlich Selbstakzeptanz und Selbstachtung.
- Selbstvertrauen: Dies beschreibt die Einschätzung der eigenen Fähigkeiten.
- Gefühl der Kontrolle über das eigene Leben: Dies bezieht sich auf die Überzeugung, ob man selbst Einfluss auf das eigene Leben hat oder ob äußere Umstände dominieren. Dieser Aspekt wird als „Kontrollüberzeugung“ bezeichnet.
- Körperbild: Das beschreibt, wie man seinen eigenen Körper wahrnimmt und bewertet.
Insgesamt zeigen Studien, dass Frauen im Vergleich zu Männern oft ein etwas negativeres Selbstbild haben. Dies hängt mit den Geschlechtsstereotypen zusammen, die Frauen mehr negative Eigenschaften zuschreiben als Männern. Es wäre jedoch falsch anzunehmen, dass alle Frauen in jeder Situation ein negativeres Selbstbild haben als alle Männer. Solche Ergebnisse hängen davon ab, ob der Vergleich innerhalb des gleichen Geschlechts oder zwischen den Geschlechtern stattfindet, wie die Selbstwahrnehmung gemessen wird und welche Aufgaben dabei eine Rolle spielen.
Ein entscheidender Faktor ist außerdem, welcher Aspekt des Selbstbildes betrachtet wird – ob es um Selbstwertgefühl, Selbstvertrauen, Kontrollüberzeugung oder das Körperbild geht.
Selbstwertgefühl
Männer schneiden tendenziell etwas besser als Frauen bei Messungen des globalen Selbstwertgefühls ab – also dem allgemeinen Maß, wie positiv oder negativ man sich selbst betrachtet.
Drei zentrale Faktoren scheinen dabei eine Rolle zu spielen, um den Zusammenhang zwischen Geschlecht und Selbstwertgefühl zu verstehen:
- Das Alter einer Person: Mit zunehmendem Alter können sich Unterschiede in der Selbstwahrnehmung verstärken oder abschwächen.
- Das Ausmaß an Geschlechtsstereotypen/Geschlechterrollen: Personen, die sich stark an traditionelle Geschlechterrollen anpassen, können ein anderes Selbstwertgefühl entwickeln als solche, die weniger stark in solche Rollen eingebunden sind.
- Die Grundlage des Selbstwertgefühls: Die Gründe, auf denen Menschen ihr Selbstwertgefühl aufbauen, unterscheiden sich ebenfalls. Zum Beispiel können äußere Faktoren (wie Aussehen oder soziale Anerkennung) oder innere Faktoren (wie persönliche Fähigkeiten oder Werte) eine Rolle spielen.
Diese Aspekte verdeutlichen, dass Selbstwertgefühl stark von individuellen und gesellschaftlichen Faktoren geprägt ist und nicht ausschließlich durch das Geschlecht bestimmt wird.
Geschlechterrollen und Selbstwertgefühl
Unterschiede im Geschlechterrollen-Verhalten (Sex-Typing) sind bei der Vorhersage des Selbstwertgefühls entscheidender als reine Geschlechtsunterschiede. Allgemein gilt: Je stärker sogenannte instrumentelle („maskuline“) Eigenschaften bei einer Person ausgeprägt sind, desto höher ist ihr Selbstwertgefühl. Bereits ab der dritten Klasse zeigt sich, dass Selbstwertgefühl besonders mit instrumentell-agentischen Eigenschaften zusammenhängt, vor allem bei Mädchen.
Das bedeutet, dass androgyn orientierte Personen – also solche, die sowohl hohe instrumentelle als auch expressive Eigenschaften aufweisen – sowie maskulin geprägte Personen (unabhängig vom biologischen Geschlecht) das höchste Selbstwertgefühl haben. Im Gegensatz dazu haben feminin orientierte Personen, insbesondere Frauen, ein deutlich niedrigeres Selbstwertgefühl als androgyn und maskulin geprägte Gruppen. Personen, die sowohl bei instrumentellen als auch bei expressiven Eigenschaften schwach ausgeprägt sind (undifferenzierte Personen), weisen das geringste Selbstwertgefühl auf. Dieses Muster wurde auch in anderen Kulturen bestätigt.
Obwohl methodische und situative Faktoren den Zusammenhang zwischen Geschlechterrollen-Verhalten und Selbstwertgefühl beeinflussen, zeigt sich klar, dass agentisch-instrumentelle Eigenschaften, insbesondere bei Frauen und mit zunehmendem Alter, einen positiven Effekt auf das Selbstwertgefühl haben. Dies könnte darauf hindeuten, dass die Gesellschaft agentische Eigenschaften (wie Durchsetzungsvermögen oder Zielstrebigkeit) stärker wertschätzt als gemeinschaftliche oder expressive Eigenschaften. Tatsächlich messen viele Tests zum Selbstwertgefühl hauptsächlich instrumentelle Eigenschaften. Anders gesagt, wenn Forscher von Selbstwertgefühl sprechen, meinen sie oft Merkmale wie Durchsetzungsfähigkeit und Zielorientierung.
Selbstvertrauen und Erwartungen
Frauen neigen dazu, ihr Können zu unterschätzen, während Männer ihre Fähigkeiten oft überschätzen. Dieses Muster zeigt sich ab der dritten Klasse und verstärkt sich während der Schulzeit. Frauen nehmen seltener an Herausforderungen teil, was ihre Möglichkeiten einschränkt, neue Fähigkeiten zu entwickeln und Erfolge zu erzielen.
In männlich dominierten Bereichen wie Mathematik und Naturwissenschaften schätzen Frauen ihre Kompetenz oft geringer ein, selbst wenn ihre Leistungen mit denen der Männer vergleichbar oder besser sind. Diese Unsicherheit führt dazu, dass Frauen weniger Kurse in diesen Bereichen belegen und in diesen Berufen unterrepräsentiert sind. Selbst erfolgreiche Frauen berichten häufig, sich wie „Hochstaplerinnen“ zu fühlen.
Die Geschlechterrollen tragen zu diesem Unterschied bei: Männern wird Selbstbewusstsein zugeschrieben und anerzogen, während Frauen oft für Bescheidenheit belohnt werden. Um dies zu ändern, müssen die gesellschaftlichen Erwartungen an beide Geschlechter angepasst werden, damit sowohl Mädchen als auch Jungen lernen, ihre Fähigkeiten zu entwickeln und zu vertrauen.
Gefühle der Kontrolle über das eigene Leben
Frauen haben im Vergleich zu Männern häufiger eine externe Kontrollüberzeugung, das heißt, sie glauben weniger daran, dass ihr eigenes Verhalten zu positiven Zielen und Ergebnissen führt. Besonders in den 1970er Jahren, als Frauen sich zunehmend der äußeren Hindernisse wie Diskriminierung bewusst wurden, nahm diese Tendenz deutlich zu.
Eine externe Kontrollorientierung bei Frauen ist oft mit Gefühlen der Hilflosigkeit, einer Vermeidung von aufgabenorientiertem Verhalten, Erfolgsangst und einer Vorliebe für Situationen verbunden, in denen Glück statt Fähigkeiten den Ausgang bestimmt.
Körperbild
Ein wichtiger Teil des Selbstkonzepts ist das Körperbild, also die Wahrnehmung und Einstellung zu unserem eigenen Körper. Besonders deutlich werden dabei geschlechtsspezifische Unterschiede in der Zufriedenheit mit dem eigenen Gewicht. Frauen sind in der Regel unzufriedener mit ihrem Gewicht als Männer und haben eine stärkere Differenzierung ihres Körperbilds. Diese Unzufriedenheit beginnt oft in der Kindheit und nimmt in der Pubertät stark zu.
Das Körpergewicht beeinflusst bei Frauen stärker die allgemeine Selbstwertschätzung als bei Männern, was auch mit gesellschaftlichen Erwartungen zusammenhängt. Frauen werden häufiger nach ihrem Gewicht beurteilt, und es gibt stärkere soziale Sanktionen gegen übergewichtige Frauen als Männer.
Die mediale Förderung eines extrem dünnen Schönheitsideals verstärkt diese Unzufriedenheit und ist mit höheren Raten an Essstörungen wie Anorexie und Bulimie verbunden, von denen 85–95 % der Betroffenen Frauen sind. Diese negative Körperwahrnehmung ist zudem mit einem höheren Risiko für Depressionen assoziiert.
Obwohl auch Männer zunehmend mit ihrem Körper unzufrieden sind und sich kulturellen Idealen anpassen, bleibt die Gewichtsunzufriedenheit bei Frauen stärker ausgeprägt.
So beeinflussen Geschlechtsstereotype das Individuum.