IMPULS #05 Pina

Der Film „Pina“ von Wim Wenders präsentiert die Choreografien der TänzerInnen des Tanztheaters Wuppertal in einer filmischen Umsetzung, die stark mit räumlichen und filmischen Mitteln arbeitet. Die Tanzszenen entstehen sowohl auf der klassischen Theaterbühne als auch in urbanen und natürlichen Außenräumen, wodurch sich eine besondere Verbindung zwischen Tanz und Umwelt ergibt. Der Film beginnt mit der Inszenierung von „Le Sacre du Printemps“, einer Choreografie von Pina Bausch, die auf einer Bühne mit Torfboden getanzt wird. Die Kamera bleibt größtenteils statisch oder bewegt sich langsam, um die kollektive Dynamik der Gruppe zu erfassen. Durch das gedämpfte Licht und gezielte Spotlights auf die TänzerInnen wird eine rohe, archaische Atmosphäre geschaffen, die die physische Intensität der Choreografie unterstützt. Der Kontrast zwischen der dunklen Erde und den hellen Kostümen betont die Körperlichkeit der TänzerInnen und die starke Bodenverbundenheit des Stücks.

In der Sequenz von Café Müller wechselt die Kamera zu einer deutlich subjektiveren Perspektive. Hier werden viele Nahaufnahmen eingesetzt, die das Innenleben der TänzerInnen widerspiegeln. Die Choreografie spielt mit wiederholten, fast traumartigen Bewegungsmustern, die durch die Positionierung der Kamera verstärkt werden. Dabei folgt die Kamera den TänzerInnen oft in langsamen, fließenden Bewegungen durch den Raum, wodurch eine Intimität zwischen den Akteuren und dem Publikum erzeugt wird. Das Bühnenbild ist mit Stühlen und Tischen überladen, was eine klaustrophobische Stimmung schafft. Die TänzerInnen bewegen sich durch diesen engen Raum, stoßen an Möbelstücke oder lassen sich fallen, was die expressive, oft schmerzhafte Emotionalität des Stücks unterstreicht. Die Beleuchtung ist bewusst schummrig gehalten und unterstützt die melancholische, introspektive Stimmung.

Eine ganz andere filmische Herangehensweise zeigt sich in den Szenen von Kontakthof, die in einem neutralen, fast sachlichen Bühnenraum gefilmt sind. Die Kamera bleibt hier oft auf Distanz und fängt die TänzerInnen in einem breiteren Blickfeld ein. Dabei werden viele Gruppenbewegungen gezeigt, die in ihrer Strenge und Wiederholung fast mechanisch wirken. Im Gegensatz zu anderen Stücken, die stark mit emotionaler Expressivität arbeiten, konzentriert sich diese Szene auf formale Abläufe und zwischenmenschliche Interaktionen. Die Beleuchtung ist hier weitgehend gleichmäßig und sachlich, ohne dramatische Schatten oder Farbkontraste, sodass die Konzentration allein auf den Körperbewegungen liegt.

In der Sequenz zu Vollmond kommt eine sehr dynamische Kameraführung zum Einsatz, die die Energie des Tanzes direkt aufgreift. Die Szene spielt in einer künstlichen Naturlandschaft mit einem großen Felsen und einer Wasserfläche auf der Bühne. Die TänzerInnen interagieren physisch mit diesen Elementen, rennen durch das Wasser, springen über den Felsen oder lassen sich ins Wasser fallen. Die Kamera bewegt sich mit der Bewegung der TänzerInnen mit, oft in unruhigen, fast dokumentarisch wirkenden Handkameraeinstellungen, die das Spontane und Unvorhersehbare dieser Szene betonen. Besonders in den Momenten, in denen das Wasser aufgewirbelt wird, entstehen eindrucksvolle visuelle Effekte, die durch gezielte Lichtsetzung verstärkt werden. Im Gegensatz zu anderen Szenen, die eine eher theatrale Inszenierung haben, wirkt Vollmond fast wie ein Ausschnitt aus einer naturalistischen Performance im Freien, obwohl es sich um eine Bühneninszenierung handelt.

Neben diesen zentralen Sequenzen des Films gibt es eine Vielzahl weiterer Tanzszenen, die teilweise in urbanen Räumen, in Industrieanlagen oder in der freien Natur gefilmt wurden. Diese Szenen brechen mit der klassischen Bühnensituation und betonen die Alltagsnähe des Tanzes. In diesen Passagen setzt Wenders häufig ungewöhnliche Kameraperspektiven ein, darunter Luftaufnahmen, Kamerafahrten entlang von Gebäuden oder intime Nahaufnahmen der TänzerInnen in Bewegung. Dabei gelingt es dem Film, den Ausdruck und die Philosophie von Pina Bauschs Tanztheater nicht nur dokumentarisch festzuhalten, sondern in eine eigenständige filmische Sprache zu überführen, die den Tanz über die reine Bühnendarstellung hinaus erweitert.

Ein besonders auffälliges Stilmittel in Pina ist der Einsatz von 3D-Technologie, die Wenders bewusst nutzt, um die räumliche Tiefe der Choreografien erfahrbar zu machen. Durch die dreidimensionale Darstellung wirken die TänzerInnen nicht nur als zweidimensionale Silhouetten auf einer flachen Bühne, sondern erhalten eine Körperlichkeit, die den Zuschauer fast physisch in die Performance hineinzieht. Dies verstärkt das immersive Erleben der Tanzszenen und hebt den Film von herkömmlichen Tanzdokumentationen ab.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Pina ein Film ist, der Tanz nicht nur dokumentiert, sondern in eine spezifische filmische Form übersetzt. Die verschiedenen Tanzszenen nutzen unterschiedliche filmische Mittel – von statischen Totalen bis zu dynamischen Handkameraaufnahmen, von melancholischer Dunkelheit bis zu leuchtenden Bühnenbildern –, um die Vielfalt und Ausdruckskraft des Tanztheaters Wuppertal einzufangen. Dabei gelingt es Wenders, den Geist von Pina Bauschs Choreografien nicht nur festzuhalten, sondern durch die filmische Inszenierung weiterzuentwickeln und für ein breites Publikum zugänglich zu machen.

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