Wie auch in Genres innerhalb der Literatur oder im Film kann man bei kinetischer Typografie Unterkategorien bilden. Ich möchte mich besonders mit einer Unterkategorienbildung beschäftigen – nämlich mit der von Barbara Brownie, welche sie in ihrem Buch Transforming Type: New Directions in Kinetic Typography niedergeschrieben hat. Zweck des Ganzen ist es, ein besseres Verständnis für den Aufbau und die Möglichkeiten von kinetischer Typografie zu bekommen.
Zeitbasierte Typografie (temporal typography)
Wie schon der Begriff zeitbasierte Typografie darauf hinweist, fallen in diesen Anwendungsbereich alle typografischen Animationen hinein, die mit zeitbasierten Medien wie Film und Fernsehen gekoppelt sind. Der Zustand der kinetischen Typografie ist direkt vom zeitlichen Ablauf beeinflusst, da das Aussehen abhängig ist vom bestimmten Moment innerhalb des Bewegungsablaufs (vgl. Brownie 2014, S. 6).
Y.Y. Wong publizierte 1995-1996 eine ausführliche Analyse zur zeitbasierten Typografie, in der sie feststellte, dass zeitbasierte Typografie nicht nur Schrift innerhalb eines Bildschirmes ist, sondern dass es sich um Schrift handelt, welche auf verschiedene Arten und Weisen innerhalb eines zeitlichen Rahmens agieren kann, was gedruckte Schrift nicht kann. Trotzdem unterscheiden sich zeitbasierte Typografie und gedruckte Typografie in vielen Arbeitsbereichen nicht viel von einander. Aber dort wo sie unterschiedlich sind, weist Wong daraufhin, dass man für die zeitbasierte Typografie neue Analysenmethoden und Beschreibungen brauche (vgl. Brownie 2014, S.6).
Seriellen Präsentation (Serial Presentation)
Zwar kann Typografie in der seriellen Präsentation wie bei der zeitbasierten Typografie auch in zeitbasierten Medien auftreten. Doch im Gegensatz zur zeitbasierten Typografie verhält sich der Text in der seriellen Präsentation statisch. In ihrem Arrangement unterscheiden sich sich nicht von der Druck-Typografie. Alleinig, dass die Typografie zeitlich gebunden ist, weicht von der Druck-Typografie ab. Beispielsweise kann man die Titelkarten im Stummfilm zur seriellen Präsentation dazuzählen. Da es sich um statische gedruckte Designs handelte, die abgefilmt worden sind (vgl. Brownie 2014, S.6).
Trotz der technischen Weiterentwicklung von den Titelkarten wird die serielle Präsentation heutzutage immer noch gerne genutzt (siehe Abb.01). So kann die serielle Präsentation genutzt werden, um Gesagtes zu unterstützen und zu unterstreichen. Das Tempo der Präsentation von Wörtern kann außerdem den Rhythmus und die Lesegeschwindigkeit widerspiegeln. Auch die zusätzliche Anwesenheit eines Voice-overs oder keinem kann bei der Präsentation von Bedeutung sein. Bei diesem Aspekt spielt auch die Beziehung von Lesen und Sprechen eine Rolle. Beispielsweise wird in der Kognitiven Psychologie für eine Methode namens Rapid Serial Visual Presentation (RSVP) die serielle Präsentation von Wörtern als Hilfsmittel für Dyslexie genutzt. Auch soll die serielle Präsentation bei der Wahrnehmung von großen schriftlichen Informationsmengen innerhalb kürzester Zeit helfen. Da das Arrangement serieller Präsentation eine schnellere Lesegeschwindigkeit ermöglicht, als ein lineares Arrangement der Schriftmengen (vgl. Brownie 2014, S.7).
Barbara Brownie zählt zu der seriellen Präsentation auch Typografie, welche Transitions aufweisen und auf den ersten Blick animiert wirken. Doch sie deutet daraufhin, dass eigentlich die Transitions animiert sind und die Schrift sich selbst nicht wirklich in ihrer Erscheinung verändert. Um das begreiflicher zu machen – hier ein Beispiel: Für ein Text wird eine Fade-In/Fade-Out Transition verwendet. Es ändert sich zwar die Deckkraft, aber die Schrift ändert sich nicht und bleibt statisch. Das kann auch bei Wipe-Transitions angewendet werden (vgl. Brownie 2014, S.7). Ein modernes Beispiel für eine serielle Präsentation ist beispielsweise die Titelsequenz für den Film The Royal Tenenbaums (bei Wes Anderson 2001)
Aus einer seriellen Präsentation wird eine kinetische Typografie sobald mehrere Parameter beispielsweise der Fade-Transition hinzugefügt werden und dadurch die statische Schrift in eine bewegte umwandeln – somit handelt es sich dann um eine verändernde Typografie.
Scroll-Typografie (Scrolling typography)
Die Spannbreite bei Scroll-Bewegungen kann verschiedene komplexe Transformationen annehmen. Bei Scroll-Typografie bleibt das typografische Layout (Zeilenabstand, Wortabstand, etc.) beständig, während sich der Text durch das Bild bewegt. Das kann man mit einem Kamera-Pan oder Kamera-Tracking vergleichen. Das beste Beispiel für Scroll-Typografie ist der klassische Rolltext-Abspann am Ende eines Films. Komplexität kann man durch eine dreidimensionale Erweiterung bewirken. Hier kann man bei der Scroll-Typografie einen Kamera-Zoom simulieren (vgl. Brownie 2014, S.7f).
Vorteil der Scroll-Typografie ist, dass man sie wie Film Footage behandeln kann und sie beispielsweise in Live-Action Footage integrieren kann und sie dabei auf die bewegenden Objekte im Footage abstimmen kann. Brownie führt hier als Beispiel die Opening Credits Szene des Films Panic Room (David Fincher, 2002) von Picture Mill an. Hier wird die Typografie dreidimensional in die Landschaft eingebaut (vgl. Brownie 2014, S.8ff). Sozusagen versucht man dabei die schriftliche Komponente wie wirklich gefilmtes Material zu behandeln, wie das folgende Zitat genauer anführt:
Dynamisches Layout (dynamic layout)
Bei einem dynamischen Layout bewegen sich die einzelnen Buchstaben unabhängig von einander. Im Gegensatz zu den davor beschriebenen Kategorien kann es beim dynamischen Layout passieren, dass z.b. sich ein Wort bewegt, während das andere statisch bleibt. Somit werden Wort- und Buchstabenabstände als flexibel angesehen. Dadurch entsteht eine fluide räumliche Beziehung zwischen den einzelnen Formen innerhalb des Bildschirms. Somit gibt es keine Kontinuität innerhalb des Ablaufs des typografischen Layout. So können sich Wörter oder Buchstaben von Textelementen lösen und eigenständig werden. Es entstehen neue Bedeutungen oder Informationen (vgl. Brownie 2014, S.11f).
Auch können sie eine andere kinetische Erscheinungsform haben, wie andere Textelemente. Das kann dazu beitragen, dass durch eine dominante Bewegung die Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Wort lenkt und den Lesefluss beeinflusst. Bestimmte Wörter können auch durch Bewegung verschwinden und dazukommen, wie das nachfolgende Zitat unterstreicht (vgl. Brownie 2014, S.12).
Weitere Kategorien?
Die Kategorien von Brownie beziehen sich hier eigentlich nur auf Bewegungen von Buchstaben und Wörtern. Doch auch die Veränderung von beispielsweise der Dicke eines Buchstabens oder der Schriftfamilie kann als Bewegung gesehen werden. Wohin kann man diese Veränderungen zählen? Gehören sie auch zum dynamischen Layout?
Die Unterscheidung zwischen global und lokal
Wie bereits am Ende des letzten Kapitels angerissen und nochmals in dem voran gestellten Zitat unterstrichen, gibt es weitere kinetische Äußerungsformen von bewegter Typografie abseits von der reinen Verschiebung vom Text. Brownie unterteilt diese zwei Phänomene in globale und lokale kinetische Typografie. Auch bringt sie einen guten Vergleich zwischen Typografen und Typografinnen/ Grafik Designern und Grafik Designerinnen und Schriftgestalter:innen, welche auch jeweils bei ihrer Beschäftigung mit Schrift eine Rolle der beiden Terme global und lokal einnehmen. Die globale Anwendung wird von den Typograf:innen erfüllt. Da sie normalerweise primär eine existierende Schrift verwenden und diese in ihre Layout-Tätigkeiten einzubinden. Hier liegt der Fokus auf der Beziehung zwischen den Buchstaben (Buchstaben-, Wortabstand, Hierarchie, Lesbarkeit, etc.). Somit verändert sich das globale Aussehen eines Layouts, aber nicht die Schrift im Detail. Im Gegensatz dazu designt ein:e Schriftgestalter:in die einzelnen Buchstabenformen und beschäftigt sich primär mit dieser im Detail (vgl. Brownie 2014, S.17f).
Somit lässt sich sagen dass, die alleinige Verschiebung von Text in die Kategorie von globaler kinetischer Typografie fällt, da die Erscheinungsform der Buchstaben von Anfang bis Ende des Bewegungsablauf sich nicht ändert. Interessant dabei ist, dass wenn man sich die Wirkung von den zwei Ebenen anschaut, dass globale Veränderungen weitaus dominanter in der vermittelten Bedeutung sind. Trotzdem darf man nicht die lokale Ebene ausklammern (vgl. Brownie 2014, S.18). Deshalb möchte ich mich nun etwas genauer mit der lokalen kinetischen Typografie beschäftigen, da ich im vorhergegangen Kapitel mich schon mit der globalen kinetischen Typografie auseinander gesetzt habe.
Lokale kinetische Typografie
Die Arbeit mit Transformation von bewegter Typografie ist noch relativ jung im Gegensatz zur globalen kinetischen Typografie. Lucas de Groot (Schriftgestalter) hat in den 1991 das Adobe’s Multiple Master Werkzeug verwendet, um Buchstaben von einer Schrift jeweils in eine neue zu verwandeln. Per se ist es noch keine animierte Sequenz, doch ein signifikanter Vorläufer, der aufzeigt, was alles möglich sein kann(vgl. Brownie 2014, S.18).
Lokale kinetische Typografie kann in Animationen mit großen Textmengen angewendet werden, wie beispielsweise das Videobeispiel im Unterkapitel Dynamisches Layout bereits zeigt. Dort gibt es zum Beispiel bereits lokale Veränderungen von ausgefüllt oder nicht. Die Arbeit mit lokaler kinetischer Typografie kann man öfters bei der Arbeit mit kleineren Textmengen erkennen (vgl. Brownie 2014, S.18f).
Sowas bietet sich bei der Arbeit mit Logoanimationen an. Wahrscheinlich war deshalb auch das Fernsehen signifikanter Antreiber für die Entwicklung der lokalen kinetischen Typografie. Da es dort öfters Senderjingles gibt, die das Logo spielerisch in Szene setzen und durch den Anstieg von verschiedenen Sendern am Ende des 20ten Jahrhunderts, wurden diese als Alleinstellungsmerkmal immer wichtiger. Beispielsweise kann man das bei den vielen verschiedenen MTV Senderjingles sehen, bei denen sich Motion Designer sich öfters mit überwiegend dem M spielerisch auseinander gesetzt haben(vgl. Brownie 2014, S.19.
Aber auch durch die über Instagram entstandene Challenge 36 Days of Type, befassen sich nicht nur Schriftgestalter mit dem täglich mit einem Buchstaben/Zahl aus dem Lateinischen Alphabet + die Zahlen 0-9 für 36 Tage, sondern auch Motion Designer verwandeln statische Buchstaben in Bewegung.
Ausdehnbarkeit von Schrift
In der statischen Typografie gibt es innerhalb einer Schriftfamilie verschiedene Schriftschnitte. Sozusagen geht ein anfänglicher Schriftschnitt durch eine Transformation und es entstehen weitere Schriftschnitte, wie fett, kursiv. etc. Diese Transformation ist für Schriftkonsumenten nicht ersichtlich, weil sie sozusagen hinter verschlossenen Türen des/der Schriftgestalter:in passiert. In der kinetischen Typografie kann dieser Prozess durch Animation zum Vorschein gebracht werden(vgl. Brownie 2014, S.19ff). Heutzutage kann man durch Reglerverschieben bei variable Fonts selbst beobachten. Bei der interaktiven Schrift Laika haben sich die Schriftgestalter Michael Flückiger und Nicolas Kunz eine Installation 2011 kreiert, bei dem genau dieser Prozess bei der Durchführung vorgeführt wird. Auf ihrer Website kann man auch Mausbewegungen, das Schriftbild transformieren (https://www.laikafont.ch). Ein anderes Beispiel wäre auch das Video von Mat Voyce V im vorangegangen Kapitel. Dort verändert der Buchstabe V sein Aussehen vom Schriftschnitt light in black. Es wird auch gestaucht und gestreckt.
Die Dehnbarkeit innerhalb kinetischer Typografie hat oft eine größere Bedeutung als nur die reine Verzerrung von Buchstaben. Sie kann wie andere gestalterische Elemente Bedeutungen und Informationen übermitteln. Manchmal kann Dehnbarkeit auch genutzt werden, um unsichtbare Objekte zu visualisieren wie beispielsweise eine Kugel, die nur dadurch sichtbar wird, weil sich der Text über sie bewegt. Dieses Phänomen kann man mit der konkreten Poesie gleichsetzen, da nur aus Wörtern eine Silhouette angedeutet wird. Aber auch für eine realistische Einbindung innerhalb von Szenen kann die Dehnbarkeit von kinetischer Typografie eingesetzt werden. Dort bestehen die Oberflächen wie zum Beispiel Wasser und die Typografie simuliert das Wasser, damit es aussieht als wäre es mit dem Wasser verbunden (vgl. Brownie 2014, S.21f).
Eine Unterscheidung die man ebenfalls treffen kann, ist ob der Buchstabe sich in etwas anderes verwandelt oder ob er „nur“ verzerrt wird. Zum Beispiel kann aus aus Würfeln eine 1 entstehen. Hier wird aus etwas bildlichem – im Falle des Beispiels: Würfel – eine Buchstaben-/ Zahlenform. Somit ist die lokale Wandlung so extrem, dass die gesamte Identität einer Form sich verändert. Das kann nicht nur als ästhetischer Eingriff gesehen werden, sondern auch als Wandel in der Bedeutung(vgl. Brownie 2014, S.22).
Fazit
Bei meiner Erarbeitung und Auseinandersetzung mit diesem Thema ist mir aufgefallen, dass kinetischen Typografie welche vorwiegend globale Eigenschaften besitzt oft im Umfeld von Texteinspielungen, wie beispielsweise im Main Title Design vorzufinden ist. Auch Firmen etc. welche seriös auftreten wollen, bevorzugen oftmals die simpleren Animationen der globalen Eigenschaften. Dagegen werden lokale Eigenschaften oft Bereichen wie der Werbung angewendet, in denen man durch charakterstärkeren Animationen Verspieltheit in die kinetische Typografie haucht. Abschließend möchte ich sagen, dass ich durch die Bearbeitung nun noch viel mehr auf die Details achte.
Literaturverzeichnis
Brownie, Barbara: Transforming Type: New Directions in Kinetic Typography – London: Bloomsbury, 2014.