Audio spielt unabhängig der Filmlänge eine wesentliche Rolle. Anhand eines Beispiels illustriert Chion im Buch Audio-Vision das Zusammenspiel von Audio und Bild. Resultat des Experiments ist die Erkenntnis, dass ein Ausschnitt eines Filmes ganz ohne Audio in anderes Bild vermittelt als mit Atmo, Special FX, Foley Sounds, Filmmusik und Stimmen. Einzelne Bildsequenzen werden ersichtlich und haben keinen Zusammenhang mehr für die BetrachterInnen. Lediglich eine Aneinanderreihung von Bildern mit deutlichem Schnitt ohne funktionierendem Übergang ist zu sehen. Die Aussage des gezeigten Ausschnittes folgt keinem roten Faden mehr. Wird das Bildmaterial entfernt, ist es an der Vorstellung eines jeden Einzelnen, das Gehörte zu interpretieren. Auch hier lässt sich kein eindeutiger roter Faden für das gesamte Publikum mehr erkennen. Werden die beiden Teile wieder kombiniert, ergibt sich die klare Botschaft, die durch das Betrachtete übermittelt werden soll. Chion nennt dieses Phänomen die audiovisuelle Illusion. Die Beziehung von Ton zu Bild und dessen added value. Darunter ist die zusätzliche Information, die das Audio dem Film gibt, zu verstehen. Dieser Mehrwert kann auch das Gezeigte im Ton widerspiegeln, ist aber keinesfalls eine Verdoppelung, sondern wird von einer Person als natürlich wahrgenommen. Dabei gibt es zwei verschiedene Methoden: Ein Wert, der durch Text hinzugefügt wird – value added by text – und ein Wert, der durch Musik ergänzt wird – value added by music. Die einfachere der beiden Varianten ist die erste, da es sich hier auch um Sprache handeln kann und der Mensch sehr empfindlich auf Sprache reagiert. Im Kino wird diese Phänomen auch verbocentric or vococentric phenomenon genannt. In der Abmischung des Audios kann die Stimme als Soloinstrument gesehen werden, da sie vom Mensch durch seine entwicklungspsychologische und kulturelle Prägung stets als Erstes wahrgenommen wird. Erst nachdemdas Gesprochene verstanden wird, werden andere Teile des gesamten Audios verifiziert und interpretiert. Chion beschreibt in seinem Buch Audio-Vision anhand eines Beispiels die audiovisuelle Illusion: Gezeigt wird ein Ausschnitt einer Flugshow in England, die von einem Sprecher begleitet wurde. Es ist zu erkennen, dass die Stimme das Gesehene in eine gewünschte Richtung leitet. Dabei erklärt der Sprecher, dass im Moment drei Flieger im Bild zu sehen sind. Würde er von einem vierten Flieger erzählen, würde sich Die/der BetrachterIn nach dem vierten Flieger umsehen und auch dieses Geschehen als völlig normal eingliedern. Der Mehrwert liegt hierbei also bei der Strukturierung der Vision selbst, damit wird im Filmbereich die Aussage Das Bild spricht für sich nichtig gemacht.
In der zweiten Variante – value added by music – gibt es erneut eine Unterscheidung in zwei Bereichen: die empathetic und die anempathetic Effekte. Je nach gewünschter Aussage des Gezeigten kann entweder der ein oder der andere herangezogen werden. Bei einem empathischen Effekt wird anhand der Musik durch die Übernahme des Rhythmus, des Tonfalls und der Phrasierung der Szene ein Gefühl vermittelt, das meist kulturell verankert ist, beispielsweise Angst, Trauer oder Glück. Dies erlaubt den ZuschauerInnen sich in die gezeigte Person oder das Geschehen hineinzuversetzen – Empathie zu entwickeln. Die zweite Variante ist vor allem aus dem Kinobereich nicht mehr wegzudenken. Der anempathische Effekt verstärkt die individuellen Emotionen der Figur und den ZuschauerInnen, ohne dass es die Musik wirklich erkennen lässt, sie drängt sich nicht in den Vordergrund. Diese Art der Musik wird auch als die mechanische Textur bezeichnet. Sie muss nicht immer auf konkrete Emotionen eingehen, sondern fungiert dazu, die Anwesenheit zu beschreiben, in welcher sich das Betrachtete abspielt. Dazu werden Geräusche benutzt, oftmals von Maschinen im Hintergrund, tropfendes Wasser bis hin zu abstrakten Swoosh-Geräuschen, die das Öffnen einer Tür verdeutlichen.
Quelle: Chion, Michel. 1994. Audio-Vision: Sound on Screen. Translated by Claudia Gorbman. New York: Columbia University Press. (S.2-7)