Die Greifbarkeit von Materialität

Wann immer wir Kleidung kaufen, entscheiden wir uns nicht nur für das Kleidungsstück, welches uns steht oder die präferierte Farbe hat, sondern auch wie es sich auf unserer Haut anfühlt. Diese Logik können wir auf viele Bereiche in unserem Leben zurückführen. Auch ist die Materialität ein essentielles Gestaltungselement in der visuellen digitalen Gestaltung.

Textur als Element der Bildgestaltung

In der Bildkomposition sticht eine scharfe/ kantige Textur weitaus mehr heraus, wenn es in Verbindung mit einer weichen Textur steht. Deswegen wird der shallow depth of field Effekt so oft eingesetzt. Außerdem zeigt die Textur Details. Ohne sie würden wir nur geometrische Formen sehen. Zwar geht die Textur eine Beziehung mit Farbe und Lichtsetzung ein, doch im Gegensatz zu den beiden Elementen, kann man Textur im Realbild/ Film nicht wirklich manipulieren. Während Komposition, Licht und Farbe die Persönlichkeit des Shots haben, hat Textur die Persönlichkeit von der Location. Es zeigt die Zeitspanne, den Ort, das Alter, den Zustand. Zudem verbessert es die anderen Elemente in der Aufnahme (vgl. Robbins 2017 [00:55-02:15]).

Verlangen nach Haptik

“One of the interesting factors of digitialisation is the steep rise in nostalgia for physicality…nobody ever really talked about the smell of books until ebooks started to threaten their existence. All of a sudden, we became nostalgic for a quality that we never really noticed before.“

Nedtalks

Seit dem Aufstieg der digitalen Sphäre in unserem alltäglichen Leben, gibt es immer wieder große Debatten, was nun besser sei, das Digitale oder doch das Analoge. James Bridle erwähnt in seinem Ted Talk A new aesthetic for the digital age eine Komponente, die nicht nur für die Buchwelt gilt, sondern auch für Felder wie zum Beispiel die Bildmedien. Er ist der Meinung, dass das Problem von E-Books nicht der Inhalt der Bücher sei, sondern das Fehlen vom physischen Erleben. Dieses physische Erleben ist stark mit unserer Erinnerung, Geschichte und Kultur verbunden. Auch sieht man diesen Aspekt zum Beispiel bei Instagram. Instagram ist sozusagen die digitale Variante von persönlichen Fotosammlungen, welche entweder kuratiert in Fotoalben oder chaotisch in Schuhschachteln zu finden sind. Durch das Posten, teilt man mit der Welt die persönliche/ gemeinsame Erinnerung an etwas. Doch in diesem Prozess gibt es auf Instagram auch die Variante Filter auf die digitalen (meist) Handyfotos zu legen, um die Ästhetik einer Kamera zu simulieren. Bridle ist der Meinung, dass dieses Verhalten darauf zurückzuführen ist, dass wir Menschen noch sehr im Physischen verhaftet sind und wir Materialität oder die Reproduktion von Materialität im digitalen suchen, da sie nicht nur Vertrautheit aussendet, sondern auch Erinnerungen in uns weckt (vgl. Bridle 2012, 0:00-6:37). Somit müssen Nostalgie Objekte nicht mehr von physischer Natur sein, wie beispielsweise Schallplatten, sondern sie können von der digitalen Welt imitiert werden, so dass wir als Konsumenten Nostalgie verspüren.

Film Grain als Ästhetik

Ein weiteres Beispiel für die Reproduktion im digitalen Raum ist Filmgrain (oder Filmkörnung). Früher hatten Filmemacher:innen noch die Ambitionen Grain aus dem analogen Film zu verbannen. Heutzutage gilt Grain als Ästhetik, vor allem im Indie-Film, da Grain all diese Assoziationen mit der Filmgeschichte hat. Doch wie kann Grain eingesetzt werden?

Was ist Grain?

Vorher kurz noch eine Erklärung, was man eigentlich unter Grain versteht. Grain oder im deutschen Korn/ Körnung/ Körnigkeit entsteht durch die chemische Reaktion der Silberhalogenidkristalle in einem (fotografischen) Film oder Fotopapier während der Belichtung und Entwicklung (vgl. Abreu, 2020).

Korn tritt vor allem bei analogen Filmen auf und ist ein Merkmal der Silberhalogenidkörner, die durch verschiedene Faktoren wie Empfindlichkeit des Films, Entwicklungsmethode und die Art des Films beeinflusst werden können (vgl. Abreu, 2020).

Korn kann dazu führen, dass ein Bild einen grobkörnigen oder feinkörnigen Effekt hat. In der Schwarzweißfotografie kann Korn auch als gestalterisches Element verwendet werden, um bestimmte Stimmungen oder Effekte zu erzeugen (vgl. Abreu, 2020).

Film noise ist ein weiterer Begriff in Zusammenhang mit Grain. Beim analogen Film werden meist die schnellen sprühenden und sichtbaren Flecken/ Körnchen und Haare genannt, welche am Anfang oder am Ende des Films auftreten. Auch in der digitalen Fotografie/ Videografie gibt es einen ähnlichen den Begriff Noise (deutsch digitales Rauschen). Man könnte sagen, dass es als die digitale Variante von Grain gesehen werden kann. Er entsteht, wenn die Belichtung zu hoch ist oder die Kamera über ihren natürliche dynamic Range ist (vgl. Abreu, 2020).

Grain als gestalterisches Element

Nerdwriter erklärt in seinem Video Essay Mandy: The Art Of Film Grain auf YouTube, anhand des Films Mandy von Panos Cosmatos, was das expressive Potenzial von Grain als gestalterisches Element – losgelöst von seiner Charakteristik eine Hommage an die Filmgeschichte – sein könnte. Dabei liegt der Fokus darauf, was für eine Qualität der Gefühle und der Bildsprache, der Einsatz von Grain hervorruft.

Die prominenteste Qualität von Grain im Film ist Bewegung. So werden Stilleben plötzlich zum Leben erweckt, da durch das bewegende Grain beispielsweise eine Blume in einer Vase plötzlich lebendig wird. Grain erweckt Gefühle in uns. Auch hat es einen hypnotischen Effekt, welcher passend zum Film Mandy ist. Es kann auch das Gefühl von Paranoia bei den Betrachter:innen wecken, weil beispielsweise man den Verdacht hegen könnte, dass sich da was hinter dem gezeigten Bild versteckt (vgl. Nedwriter1 2018, [03:55-04:30]).

Eine andere Qualität von Grain ist, dass es verschmilzt. Es verleiht dem Einzelbild eine grundlegende Textur, sodass es eine Kontinuität zwischen zwei Objekten aufrecht erhalten werden kann. Außerdem hat es den Eindruck, dass das Bild aus einer Vielzahl von kleinen Partikeln aufgebaut ist. Diese kleinen Partikel könnten auseinandergehen und überlappen. Cosmatos verwendet dichten Grain oft mit Nebel, um diesen Effekt noch mehr zu überspitzen. So ist nichts mehr solide oder greifbar für die Zuschauer:innen. Geglaubtes verändert sich zu etwas anderem. Im Beispiel Mandy wird es in einer Szene verwendet, in der sie unter Drogeneinfluss steht und Bewegungen in einander übergehen (vgl. Nedwriter1 2018, [04:31-05:55]).

Fazit

Somit kann man sagen, dass Textur nicht nur für die Ästhetik oder Nostalgie herangezogen werden kann, sondern auch um Botschaften zu übermitteln oder um visuelle Spannungen zu erzeugen.

Quellenverzeichnis

Abreu, Rafael (13.09.2020): What is Film Grain? The Causes and Effects Explained. Online: https://www.studiobinder.com/blog/what-is-film-grain-definition/ (Zuletzt geöffnet: 22.01.2024).

Aidin Robbins (02.09.2017): Why Texture is so Important in Filmmaking. Online: https://www.youtube.com/watch?v=yRfO9TuHJhI (Zuletzt geöffnet: 22.01.2024).

Bridle, James (06.07.2012): James Bridle: A new aesthetic for the digital age. Online: https://www.youtube.com/watch?v=4PcpGxihPac (Zuletzt geöffnet: 11.01.2024).

Nedwriter1 (18.10.2018): Mandy: The Art Of Film Grain. Online: https://www.youtube.com/watch?v=4PcpGxihPac (Zuletzt geöffnet: 22.01.2024).